Arbeitnehmer können aus unterschiedlichen Gründen den Wunsch haben, eine Zusage aus einer Direktversicherung oder einer Pensionskasse abzufinden. Versicherungsvertraglich wird dies umgesetzt, indem die Versicherung bzw. der Pensionskassenvertrag gekündigt wird. Aus arbeits-, steuerlicher-, sozialversicherungs- und versicherungsvertraglicher Sicht sind bei der Abfindung wichtige Punkte zu beachten. So änderten bspw. Mitte 2016 die Sozialversicherungsträger die beitragsrechtliche Behandlung von Abfindungen für unverfallbare Versorgungsanwartschaften. Dieses Merkblatt verdeutlicht am Beispiel der Direktversicherung, in welchen Fällen eine Abfindung unter Berücksichtigung von § 3 BetrAVG überhaupt rechtlich möglich und wie eine zulässige Abfindung steuerlich und sozialversicherungsrechtlich zu behandeln ist.
Wichtig!
Insgesamt gilt, dass eine Abfindung in der Regel für den Versorgungsberechtigten eher nachteilig ist und daher immer erst als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden sollte. So ist beispielsweise eine (zeitweise) Beitragsfreistellung (insbesondere bei finanziellen Engpässen) oftmals die bessere Lösung.
Abfindung von Versorgungsanwartschaften
In den folgenden Fällen ist die Abfindung einer Versorgungsanwartschaft rechtlich zulässig:
Nicht gesetzlich unverfallbare Anwartschaften
Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vertraglich eine Unverfallbarkeit zugesichert, ohne dass die gesetzliche Unverfallbarkeit erreicht ist, kann die Versorgungsanwartschaft einvernehmlich abgefunden werden.
Abfindung im laufenden Arbeitsverhältnis
Die Abfindung einer unverfallbaren Anwartschaft ist gemäß § 3 Abs. 1 BetrAVG nur im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verboten. Während der aktiven Beschäftigung kann hingegen auch eine bereits gesetzlich unverfallbare Anwartschaft (einvernehmlich) abgefunden werden. Die im Gesetzestext verwendete Formulierung „im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ ist allerdings weit auszulegen. Das Abfindungsverbot gilt bereits dann, wenn die Abfindung im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt. Ein solcher Zusammenhang ist z. B. anzunehmen, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses bereits ausgesprochen ist oder die Abfindung im Rahmen eines Aufhebungsvertrages über die zukünftige Beendigung des Arbeitsvertrages vereinbart wird oder auch für den Rentenübergang (siehe unten).
Wichtig!
Sofern aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis noch gesetzlich unverfallbare Anwartschaften bestehen, so unterfallen diese den gesetzlichen Verfügungsverboten nach § 2 BetrAVG und fallen damit unter das Abfindungsverbot nach § 3 BetrAVG. Diese Teile des Vertrages sind nicht abfindbar.
Abfindung von Klein-Anwartschaften bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
§ 3 Abs. 2 BetrAVG sieht für den Arbeitgeber ein einseitiges Abfindungsrecht vor, sofern die in der Vorschrift definierte Bagatellgrenze nicht überschritten ist. Diese Bagatellgrenze liegt bei Rentenzusagen im Jahr 2019 bei monatlich 31,15 Euro (alte Bundesländer) bzw. 28,70 Euro (neue Bundesländer). Bei Kapitalzusagen liegt sie im Jahr 2019 bei 3.738 Euro (alte Bundesländer) bzw. 3.444 Euro (neue Bundesländer). Maßgeblich für die Frage, ob die Bagatellgrenze überschritten ist, ist die Höhe der Leistung, die dem Arbeitnehmer bei Erreichen der festen Altersgrenze zusteht. Beim Durchführungsweg Direktversicherung ist bei Anwendung der versicherungsförmigen Lösung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG daher auf den Wert der beitragsfreien Versicherung abzustellen.
Wichtig!
Verstöße gegen § 3 BetrAVG führen dazu, dass die Abfindung nichtig ist. Der Arbeitnehmer und ggf. seine versorgungsberechtigten Hinterbliebenen können daher vom Arbeitgeber im Versorgungsfall nochmalige Leistungen verlangen!
Abfindung bei Rentenübergang bzw. im Rentenbezug
Erfolgt die Abfindung der Versorgung in zeitlichem Zusammenhang mit dem Rentenübergang und damit mit dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis, greift bereits das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG.
Auch eine laufende Rentenverpflichtung kann grundsätzlich nur innerhalb der Wertgrenzen des § 3 BetrAVG abgefunden werden (etwas anderes gilt nur für laufende Renten, die erstmals vor dem 01.01.2005 gezahlt wurden [§ 30b Abs. 2 BetrAVG]).
Wichtig!
Sehen die Versicherungsbedingungen eine Kapitaloption vor Rentenbeginn vor, so kann diese unabhängig vom § 3 BetrAVG ausgeübt werden, da eine Kapitaloption nicht als Abfindung gilt (BGH, Urteil vom 28.09.2009, AZ: II ZR 12/09).
Abfindung bei Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
Gemäß § 3 Abs. 3 BetrAVG hat der Arbeitnehmer ein einseitiges Abfindungsrecht, wenn er mit einer gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft ausgeschieden ist und ihm die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet worden sind. Dies kann der Fall sein bei Arbeitnehmern mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die in ihrer Heimat zurückkehren. Allerdings ist der Anwendungsbereich von § 3 Abs. 3 BetrAVG recht klein, da eine Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen ausgeschlossen ist, wenn das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht. Dies ist bei Arbeitnehmern der Fall, die in EU-Mitgliedsstaaten oder in Länder zurückkehren, mit denen Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen hat.
Abfindung bei Insolvenz des Arbeitgebers
Wird nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens das Arbeitsverhältnis fortgesetzt, hat der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 4 BetrAVG hinsichtlich des Teils der Versorgungsanwartschaft, der während des Insolvenzverfahrens erdient wurden, ein einseitiges Abfindungsrecht, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wurde.
Abfindung im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs
Zwar ist das grundsätzliche Abfindungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 BetrAVG auch im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs anwendbar. Es gilt jedoch nicht bei Tatsachenvergleichen, also wenn der gerichtliche Vergleich wegen eines Streits über die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder die Höhe der Versorgungsanwartschaft geschlossen wird. Zulässig kann zum Beispiel auch ein in einem Kündigungsschutzverfahren geschlossener Tatsachenvergleich sein, nach welchem Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung vollständig ausgeschlossen werden und stattdessen die Abfindung wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes erhöht wird.
Abfindung von laufenden Leistungen
Seit dem 01.01.2005 gilt das grundsätzliche Abfindungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 BetrAVG auch für laufende Versorgungsleistungen. In folgenden Fällen ist die Abfindung von laufenden Versorgungsleistungen jedoch rechtlich möglich:
Vor 2005 erstmals gezahlte laufende Leistungen
Gemäß § 30g Abs. 2 BetrAVG findet § 3 auf laufende Leistungen, die vor dem 01.01.2005 erstmals gezahlt worden sind, keine Anwendung. Sie können daher einvernehmlich abgefunden werden. Nicht vom Abfindungsverbot erfasst sind auch Hinterbliebenenrenten, die zwar erst nach dem 31.12.2004 erstmals gezahlt wurden, jedoch auf einer bereits vor dem 01.01.2005 gezahlten Altersrente basieren.
Abfindung von Klein-Renten
Laufende Leistungen, die die in § 3 Abs. 2 BetrAVG bestimmte Bagatellgrenze nicht übersteigen, können ohne Zustimmung des Betriebsrentners vom Arbeitgeber abgefunden werden (zur Höhe der Bagatellgrenze siehe oben). Sofern sie bereits vor dem 01.01.2005 erstmals gezahlt wurden, ist die Abfindung jedoch nur einvernehmlich möglich. Das Gleiche gilt für Hinterbliebenenrenten, die auf einer bereits vor dem 01.01.2005 gezahlten Altersrente basieren.
Abfindung im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs
Die Abfindung von laufenden Leistungen ist bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs dann wirksam, wenn es sich bei dem gerichtlichen Vergleich um einen Tatsachenvergleich handelt (siehe oben).
Höhe der Abfindung
Die Abfindungshöhe bei Abfindungen von Klein-Anwartschaften und Klein-Renten, bei Abfindungen wegen Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie bei Abfindungen wegen Insolvenz des Arbeitgebers bestimmt sich nach dem zum Abfindungszeitpunkt gebildeten Kapital (§ 3 Abs. 5 BetrAVG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG). Beim Durchführungsweg Direktversicherung ist dies der Rückkaufswert gemäß § 169 Abs. 3 VVG. Die Abfindungshöhe bei Abfindungen nicht gesetzlich unverfallbarer Anwartschaften und bei Abfindungen im laufenden Arbeitsverhältnis kann dagegen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer frei ausgehandelt werden. Üblich ist jedoch auch hier, den Rückkaufswert der Direktversicherung zu Grunde zu legen.
Versicherungsvertragliche Umsetzung
Der Versicherungsvertrag und der Arbeitsvertrag sind selbständige, voneinander unabhängige Rechtsverhältnisse. Der Abschluss einer arbeitsrechtlichen (Abfindungs-)Vereinbarung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Bestand des Versicherungsvertrags. Der Arbeitgeber kann in seiner Eigenschaft als Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag kündigen. Ist der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer unwiderruflich bezugsberechtigt, so ist für eine wirksame Kündigung der Versicherung seine Zustimmung erforderlich. Die Kündigung muss schriftlich an den Versicherer gegeben werden. Achtung: Manche Versicherer haben in Ihren Versicherungsbedingungen ein Kündigungsverbot eingeschlossen. Diese Versicherungen können dann aufgrund der Versicherungsbedingungen nicht gekündigt werden.
Versteuerung der Abfindung
Als Abfindung gewährte Rückkaufswerte aus einer Direktversicherungszusage sind als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 5 EStG vom Versorgungsberechtigten (Arbeitnehmer) zu versteuern. Hierbei ist zu unterscheiden, ob die Beiträge zur Finanzierung der Leistung steuerfrei gemäß § 3 Nr. 63 EStG waren oder gemäß § 40b EStG in der Fassung vom 31.12.2004 pauschal versteuert wurden.
Beiträge waren steuerfrei nach § 3 Nr. 63 EStG
Der Auszahlungsbetrag stellt in vollem Umfang sonstige Einkünfte gem. § 22 Nr. 5 EStG dar. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Auszahlung von dem Versorgungsträger direkt an den Arbeitnehmer gezahlt wird oder ob eine Auszahlung an den Arbeitgeber erfolgt, der den Betrag dann entsprechend weiterleitet.
Beiträge wurden nach § 40b EStG pauschalversteuert
Die Lohnsteuerpauschalierung nach § 40b EStG für die gezahlten Beiträge bleibt bestehen.
Wurde der Vertrag vor dem 01.01.2005 abgeschlossen, gilt für die Leistungsbesteuerung folgendes: Die Auszahlung des Rückkaufswerts an den Arbeitnehmer ist bei diesem steuerfrei, wenn eine mindestens 12-jährige Vertragsdauer und mindestens 5-jährige Beitragszahlungsdauer vereinbart war und der Vertrag nach Ablauf von 12 Jahren gekündigt wurde (§ 52 XXVIII Satz 5 EStG in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der Fassung vom 31.12.2004). Die Auszahlung des Rückkaufswerts an den Arbeitnehmer vor Ablauf von 12 Jahren führt zur Steuerpflicht der rechnungs- und außerrechnungsmäßigen Zinsen gem. § 22 Nr. 5 Satz 2 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG (a. F.).
Sofern die Abfindung zu versteuern ist, hat der Arbeitnehmer die notwendigen Angaben in seiner Steuererklärung vorzunehmen. Die Versicherungsgesellschaft hat dem Arbeitnehmer gemäß § 22 Nr. 5 Satz 7 EStG eine Bescheinigung über die zu versteuernden Beträge auszuhändigen. Die Auszahlung des Beitrages wird von der Versicherung an das Finanzamt gemeldet, so dass dies nicht vergessen werden kann. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die auf den Rückkaufswert zu zahlenden Steuern einzubehalten und abzuführen.
Beitragspflicht in der Sozialversicherung
In seinem Urteil vom 24.03.2015 (Az. 11 R 1130/14) entschied das LSG Baden-Württemberg, dass die Abfindung einer betrieblichen Altersversorgung kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 SGB IV ist und daher weder in der gesetzlichen Rentenversicherung noch in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung Beiträge zu leisten sind. Die Abfindung für die Anwartschaft einer betrieblichen Altersversorgung stelle jedoch einen Versorgungsbezug im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 3 Variante 2 SGB V dar und sei daher für den Arbeitnehmer unabhängig von dessen Alter beitragspflichtig in der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung („KVdR“) und für die Dauer von 120 Monaten mit dem fiktiven monatlichen Zahlbetrag zu verbeitragen (Ausnahme: Privatversicherte). Der Arbeitnehmer hat dabei den vollen Beitragssatz allein zu tragen. Sofern die Freibeträge gemäß § 226 Abs. 2 SGB V nicht überschritten werden, fallen z. B. für 2019 bei Kapitalabfindungen unter 18.690 € keine KVdR-Beiträge an!
In Betracht kommt in manchen Fällen die Abfindung einer betrieblichen Altersversorgung für privat krankenversicherte Arbeitnehmer. Auch für sie ist der Abfindungsbetrag vollständig sozialversicherungsfrei.
Empfehlung
Zwecks Vermeidung der Verwaltung von Klein-Anwartschaften und Klein-Renten ist Arbeitgebern zu empfehlen, bei Ausscheiden versorgungsberechtigter Arbeitnehmer zu prüfen, ob die Bagatellgrenze gemäß § 3 Abs. 2 BetrAVG überschritten ist. Im Falle der Nichtüberschreitung sollte der Arbeitgeber von dem ihm zustehenden einseitigen Abfindungsrecht Gebrauch machen. Arbeitnehmer mit einer Direktversicherungszusage, die Mitglied in einer gesetzlichen Krankenversicherung sind, sollten bei einem Abfindungsangebot des Arbeitgebers neben der Steuerpflicht und der grundsätzlichen Verluste bei Kündigungen von Lebensversicherungen auch berücksichtigen, dass sie die alleinige Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung trifft.